ZUKUNFT.KITA@NRW
26.04.2018
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Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen in NRW insbesondere unter fachlich-qualitativen und betriebswirtschaftlichen Aspekten kritisch betrachtet. Gutachten im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der AWO NRW. AutorInnen: Prof. Dr. Christina Jasmund | Prof. Dr. Werner Heister Sarah Hoedtke, BA | Dr.-Ing. Matthias Wilk, Architekt. Wissenschaftliches Gutachten.

 

Presseberichte:

KSTA 12.12.

RP-Online

WZ

Rundschau-online

WDR 1 (a)http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/kitas-geld-studie-100.html

WDR 1 (b)

Der Westen

KSTA

 

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Im laufenden Kindergartenjahr stehen in NRW nahezu 600.000 Plätze in Kindertageseinrichtungen (KiTa) zur Verfügung. Mehr als 60% der inzwischen gesetzlich garantierten Kindergartenplätze befinden sich in Trägerschaft der Kirchen und anderer freier Träger. Kindertageseinrichtungen in NRW sind mit über 100.000 Beschäftigten ein bedeutsames Arbeitsfeld und haben sich gerade in den letzten Jahren zu modernen Dienstleistungsunternehmen entwickelt (bzw. sind auf dem Weg dahin). Nahezu alle Familien mit Kindern in NRW nehmen die Dienstleistungen einer Kindertageseinrichtung in Anspruch. Diese leiten sich aus dem im SGB VIII verankerten Auftrag der Bildung, Erziehung und Betreuung ab und orientieren sich in erster Linie an den Bedürfnissen und dem Wohl des Kindes. Darüber hinaus unterstützen und entlasten Kindertageseinrichtungen mit ihren zunehmend ganztägigen Angeboten die Eltern – und das nicht nur im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf & Familie.
Vor allem aber sind Kindertageseinrichtungen die Primärinstanz unseres Bildungssystems und Bildungsort für alle Kinder.
Die Erkenntnisse der Wissenschaften, namentlich die der Pädagogik, Psychologie und in erster Linie die der Neurowissenschaften verdeutlichen, dass insbesondere in den frühen Kindheitsjahren die Grundlagen für eine gute Entwicklung, Teilhabe und Aufstiegschancen gelegt werden. Bereits Kleinkinder gestalten ihre eigene Entwicklung in einem sozialen Prozess mit anderen Personen aktiv mit. Sie entwickeln in diesem entscheidenden Zeitraum zentrale Basiskompetenzen wie emotionale Stabilität oder Kommunikationsfähigkeit (vgl. z.B. Hessisches Ministerium für Soziales und Integration 2010).
Entsprechend wichtig ist es, insbesondere in den ersten Lebensjahren Bildung, Erziehung und Betreuung auf höchstem Qualitätsniveau zu gewährleisten. Den konkreten Auftrag hierzu formulieren u.a. SGB VIII und KiBiz. Aber reichen die Rahmenbedingungen und insbesondere Mittel heute aus, um dem Anspruch gerecht zu werden? (Quellenangaben siehe in der oben zum Download bereitstehenden Studie).

 

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Zur Beantwortung der Frage wird im Rahmen der Begutachtung zunächst ein 'Gutes Soll' aus fachwissenschaftlichen Erkenntnissen zu Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder entwickelt. Weiter werden wesentliche Aspekte zu den Themen Bau, Kalkulation und Management erläutert.

Es geht also um pädagogische, bautechnologische und wirtschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen, kurz um die
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Zur erfolgreichen Begleitung der Kinder durch ihre Kindergartenzeit sind viele unterschiedliche Aspekte ausschlaggebend.

Eine wichtige Rolle spielt die Gruppengröße, -zusammensetzung und -struktur. Ausschlaggebend sind auch die Qualifikation und Qualifizierung des pädagogischen Personals sowie pädagogisch angemessene Fachkraft-Kind-Relationen.

Zu beachten sind insbesondere die Zeitkontingente für direkte pädagogische Arbeit, aber auch die für die mittelbare pädagogische Arbeit. Eine angemessene Bildung, Erziehung und Betreuung kann nur erreicht werden, wenn die Zeitkontingente für Ausfallzeiten des pädagogischen Personals berücksichtigt sind und entsprechend ausgeglichen werden können.

Im Rahmen des Gutachtens wird deutlich, dass hier zurzeit erhebliche Defizite in den gesetzlichen und anderen Rahmenbedingungen zu konstatieren sind.

Der Personaleinsatz spielt nicht nur quantitativ eine wichtige Rolle, sondern ebenso bedeutend sind qualitative Aspekte wie eine präzise Darstellung eines Aufgabenprofils der Leitung, der Qualifikation und Qualifizierung aller pädagogischen Fachkräfte sowie der Fachberatung.

Gerade die Fachberatung stellt eine erhebliche Unterstützung der Kindertageseinrichtungen dar. Sie ist leider bisher nicht ausreichend konkret im Gesetz verankert.

Auch die Verfügbarkeit geeigneter Innen- und Außenräume, deren Gestaltung und Ausstattung sind von zentraler Bedeutung für die kindlichen Entwicklungs- und Bildungsprozesse. Die Anforderungen und gültigen Standards sowohl für den Neubau als auch den Umbau einer Kindertageseinrichtung sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Hinzu kommt eine deutliche Steigerung der Bauplanungskosten. Der Baupreisindex für Wohngebäude (hier wird in dem Gutachten auch ein Kindergarten eingeordnet) ist von 85,8 % (2000) auf 113,2 % gestiegen (2010=100) (Quelle: DESTATIS).

Ein Ausgleich der steigenden Lasten ist nicht oder höchstens in begrenzten Sonderprogrammen zu erkennen.
Alle diese oben dargestellten Entwicklungen passen eher nicht zu der derzeit in NRW geltenden Finanzierung.
Zur Finanzierung der Kindertagesbetreuung kommt in Nordrhein-Westfalen ein Modell zum Einsatz, das sowohl die Einrichtung selbst finanziert (Objekt- oder Zuwendungsfinanzierung) als auch die Kinder als Inhaber des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz (Subjektfinanzierung). An der Finanzierung der Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen sind Land, Kommunen, Träger und Eltern beteiligt.

Das Modell der Mischfinanzierung hat für den Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen und die Haushalte seiner Kommunen den Vorteil, dass im Rahmen der Zuwendungsfinanzierung die Träger von Einrichtungen an der Finanzierung der Kindertagesbetreuung beteiligt werden können.

Gleichzeitig bietet die anteilige Finanzierung der Kindertagesbetreuung über die Subjektfinanzierung die Konsequenz, dass nicht die Einrichtung selbst finanziert werden muss, sondern eine Finanzierung der Einrichtung nur erfolgt, wenn diese tatsächlich von Kindern im Einzelfall in Anspruch genommen werden (vgl. Wiesener 2016, S. 14).

Dieses Modell entspricht insbesondere aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht dem, was angemessen wäre. Vielmehr sollte aus betriebswirtschaftlicher Perspektive gelten:

Die Träger der Kindertageseinrichtungen bieten Leistungen zur qualitativ hochwertigen Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern an. Die dabei entstehenden Kosten sind zu kalkulieren und in vollem Umfang von den Leistungszahlern (Eltern und öffentliche Hand) zu entgelten. Ein Trägeranteil ist bei der hier vorliegenden Art der Geschäftsbeziehung ausgeschlossen bzw. als freiwillig anzusehen.

Die Kosten, die zur Erfüllung der oben genannten Qualitätsstandards bei den Trägern anfallen, sind (vollständig) anzuerkennen und zu tragen. Dazu haben die Leistungsanbieter ihre angemessenen Selbstkosten zu kalkulieren. Eine Deckung der Kosten geschieht durch Elternbeiträge und Zahlungen der öffentlichen Hand. Dabei ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu beachten, dass unterschiedliche Leistungen differenziert werden sollten, etwa Bereitstellung von KiTa-Plätzen, pädagogische Leistungen für Kinder (Bildung, Erziehung, Betreuung), Betrieb von Infrastrukturen, Leitung / Verwaltung, hauswirtschaftliche Tätigkeiten etc. Alle hierfür anfallenden Kosten sind Teil der jeweiligen Selbstkosten und somit zu entgelten. Deutliche Lücken zu dem heute bestehenden Rahmen werden im Gutachten deutlich, etwa bei dem fehlenden finanziellen Ausgleich bei Ausfallzeiten des Personals, der Deckelung von Kosten etc.

Weitere z.B. das Management betreffende Aspekte wirken sich auf die notwendigen finanziellen Mittel aus: Eine nach betriebswirtschaftlichen Aspekten als sinnvoll zu erachtende Leitungsspanne bei Führungskräften (Führung der Leitungskräfte) und Fachberatungen ist zu berücksichtigen ebenso wie Höhergruppierungen, Stufenaufstiege und tarifliche Personalkostensteigerungen.

Eine Umstellung auf ein betriebswirtschaftlich zweckmäßiges Kalkulationsschema ist erforderlich. Dabei sind insbesondere Abschreibungen als Werteverzehr zu berücksichtigen. Diesbezüglich sind die derzeitigen Vorgehensweisen zu prüfen und ggf. abzulösen.

Instandhaltungskosten sind in voller Höhe zu berücksichtigen. Es ist zu klären, wie Investitionen finanziert werden. Mietkosten sind in voller Höhe zu berücksichtigen. Das gilt ggf. auch für kalkulatorische Mietkosten. Auch weitere kalkulatorische Kosten sind bei angemessener betriebswirtschaftlicher Relevanz zu berücksichtigen.

Nicht zuletzt sollten auch die bestehenden Verwaltungs- und Nachweisprozesse verschlankt werden.

Fazit: Aus fachwissenschaftlicher, sowohl pädagogischer als auch betriebswirtschaftlicher Sicht führt die hier vorgelegte Analyse im Ergebnis zu folgender Synthese: Die Rahmenbedingungen der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen können nicht so bleiben, wie sie derzeit sind. Vielmehr sind wesentliche, meilensteinbildende Veränderungen notwendig. Die zu berücksichtigenden Aspekte sind hier im Gutachten aufgezeigt und Lösungswege skizziert. Jetzt sind Politik und Träger etc. gefragt, die Zukunft zum Wohle der Kinder und der Gesellschaft zu gestalten.

In dem bestehenden System der Finanzierung über Kindergartengruppen mit den aktuellen Kindpauschalen kann die aus fachwissenschaftlicher Sicht anzustrebende Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder nicht in angemessenem Umfang erreicht werden. Es wird dringend empfohlen, das System auf Fachkraft-Kind-Relationen umzustellen und ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um die für Kinder in den sehr wichtigen ersten Entwicklungsjahren notwendige Bildung, Erziehung und Betreuung qualitativ hochwertig anzubieten.

Dabei sind Zeitkontingente für die direkte pädagogische Arbeit und die mittelbare pädagogische Arbeit vorzusehen.

Leitung und Fachberatung müssen stärker festgelegt und institutionalisiert werden. Angemessene Leitungs- und Beratungszeiten müssen einkalkuliert werden.

Neben der notwendigen, höheren Zahl an Personalkräften sind zahlreiche weitere Aspekte im Personalbereich kostenrelevant und aus betriebswirtschaftlicher Sicht selbstverständlich durch die Leistungszahler zu entgelten: Kosten der Fort- und Weiterbildung, Ausfallzeiten, Höhergruppierungen, Stufenaufstiege und andere Personalkosten, Personalnebenkosten und indirekte Personalkosten.

Es wird empfohlen, von dem bisherigen Finanzierungssystem abzurücken und zukünftig die Betätigungen der Leistungserbringer als Dienstleistungen anzusehen. Berechtigterweise würde in einem neuen System ein Trägeranteil komplett entfallen. Die Leistungen sind in eine Grundfinanzierung (z.B. Leitung, pädagogische Voraussetzungen, Betrieb (auch Technik etc.), Küche und Immobilie) und weitere zu unterscheiden. Hinzu käme eine belegungsabhängige Komponente für spezielle Förderbedarfe und Aspekte, die einrichtungsspezifisch zu behandeln sind. Weiterhin ist die Vorhaltung von Plätzen zu finanzieren.

Aspekte der Instandhaltung oder gar Erweiterung sollten aus fachwissenschaftlicher Perspektive vom Betrieb getrennt werden. Die derzeitige Vermischung ist unpassend.

Das derzeitige, betriebswirtschaftlich unzureichende System der Berücksichtigung des Werteverzehrs sollte gerade beim Anlagevermögen durch Abschreibungen ersetzt werden.

Anfallende Mietkosten - auch kalkulatorische - sind in angemessener Höhe zu berücksichtigen.

Alle durch die Kindertageseinrichtung und deren Betrieb verursachten Sachkosten sind in voller Höhe zu berücksichtigen. Sachkostensteigerungen sind zu berücksichtigen.

Alle durch die Kindertageseinrichtung und deren Betrieb verursachten Verwaltungskosten sind zu berücksichtigen, auch die Overhead - Kosten des Trägers.

Auch Zinskosten - ggf. kalkulatorische - sind zu berücksichtigen.

Zusammenfassend gilt: Alle aufwandsgleichen und kalkulatorischen Kosten sind grundsätzlich in der Höhe der ermittelten Selbstkosten zu entgelten. Durch geeignete Maßnahmen ist eine höhere Planungssicherheit zu schaffen. Die generelle Maßregel lautet: Alle anfallenden Selbstkosten, soweit sie angemessen, marktkonform etc. sind, sind zu entgelten. Alle Kostensteigerungen müssen zeitnah berücksichtigt und abgegolten werden. Nur so kann ein Substanzabbau beim Träger verhindert werden.